Am 11.06.2025 durften wir an der Hochschule Ruhr West (Institut Informatik, Studiengang: "Mensch-Technik-Interaktion", Modul: "Kognitions-, Kommunikations- und Medienpsychologie") mit Studierenden und Mitarbeitenden einen Workshop durchführen, um mit und an den Thesen für den lokalen Wahl-O-Maten zu arbeiten.
Den Impulsvortrag von Martin Smaxwil kann man hier nachschauen, weiter unten gibt es das Transkript und die Folien und das Handout zum Download.
Mitschnitt des Vortrags
Hinweis: An zwei Stellen fehlt leider ein kleines Stück der Aufzeichnung, die Präsentation und der Ton laufen aber 😅
Der Vortrag ist ca. 1h lang 😮. Zur besseren Orientierung sind hier die entsprechenden Zeitmarken der verschiedenen Themen:
- 00:00 – 02:49 | Begrüßung und Überblick
- 02:49 – 10:50 | Vorstellung, Zukunft Bottrop, Projekt "lokaler Wahl-O-Mat"
- 10:50 – 16:15 | Beispiele aus der politischen Kommunikation
- 16:15 – 19:30 | Neurologische Basics und Sprachenlernen
- 19:30 – 25:37 | Stereotype, Muster, Konzepte, Kategorien
- 25:37 – 29:27 | Sprachwirkung
- 29:27 – 31:12 | Lingustik: Funktion von Sprache
- 31:12 – 34:13 | Sprachbilder & Metaphern
- 34:13 – 39:47 | Framings
- 39:47 – 43:41 | „Kampfbegriffe“ und "Dog Whistles"
- 43:41 – 47:14 | Narrative
- 47:14 – 57:40 | Heuristiken
- 57:40 – 62:20 | Halb voll oder halb leer?
- 62:20 – 64:03 | Zusammenfassung, Verabschiedung
Transkript
Nicht zuletzt als Nachweis, was über politische Kommunikation und Neutralität von bzw. Beeinflussung durch Sprache gesagt wurde, gibt es hier das Transkript, unterteilt in Kapitel. Leichte Abweichungen zur Tonspur sind – wie auch bei dem Untertitel im Video oben – zur Steigerung der Lesbarkeit vorgenommen worden. Die inhaltlichen Aussagen wurden nicht verfremdet.
Begrüßung und Inhalt
Hallo allerseits.
Schön, dass Sie da sind, ich freue mich sehr. Ich bin heute hier, um über das Thema “Framing, Kampfbegriffe, Narrative” zu sprechen, in Verbindung mit einem kleinen Projekt, das wir momentan vorhaben, nämlich der Entwicklung eines lokalen Wahl-O-Maten für die Kommunalwahl im September. Der Untertitel heißt “Wahl-O-Mat-Thesen zwischen Neutralität und Beeinflussung” – das zielt schon ein bisschen in die Richtung, wo wir hinwollen, nämlich: Wie genau muss ich eigentlich Dinge formulieren, damit es eben nicht zu einer Beeinflussung kommt, und wie mächtig ist eigentlich Sprache, wie funktioniert Sprachverständnis usw. Das sind so ein bisschen die Themen, über die wir heute reden.
Ich gucke einmal kurz auf den Inhalt:
Wir haben den Tag heute zweigeteilt, nämlich einerseits in den theoretischen Teil und andererseits den praktischen Teil. In dem Impulsvortrag habe ich erstaunlich viele Punkte aufgemetert, über die ich “kurz” sprechen möchte. Ich versuche das aber kurz und knapp zu halten. Erstens: Wer ist eigentlich “Zukunft Bottrop”? Zweitens: Was machen wir da mit dem kommunalen Wahl-O-Maten? Dann würde ich gerne eingehen auf neurologische, kognitionstheoretische und linguistische Hintergründe von Sprache und Sprachverständnis. Also: Wie lernen wir eigentlich Sprache? Wie funktionieren Stereotype, Muster, Konzepte, Kategorien? Wie wirkt Sprache auf Rezipient:innen und welche Funktionen hat Sprache, um dann darüber nachzudenken: Wie kann ich mit Sprache eigentlich Menschen beeinflussen über z.B. den Einsatz von Sprachbildern und Metaphern, über die sogenannten Framings, Kampfbegriffe, “Dog Whistles”, Narrative usw., um dann noch mal kurz auf ein paar weitere Einflussfaktoren zu kommen, nämlich so was wie Heuristiken und Urteilsverzerrungen, die kognitionspsychologisch begründet sind, und auf so klassische Formulierungsgeschichten wie positive vs. negative Formulierungen, wie schwierig ist es eigentlich, Verneinungen oder doppelte Verneinungen zu verarbeiten, erhöhe ich durch spezielle Formulierungen den “cognitive load” bei den Rezipient:innen?
Das sind so Fragen, die ich am Ende noch einmal kurz streifen werde, um dann im Praxisteil an so was wie – nennen wir es mal – Redaktionsgrundsätzen zu arbeiten. Was gibt es eigentlich für Anforderungen an Neutralität von Wahl-O-Mat Thesen? Und die praktischen Einreichungen, die wir bereits für das Projekt eingesammelt haben, dann auch tatsächlich eventuell in dem Zusammenhang heute schon zu überarbeiten. Wir haben nämlich die Bürger:innen Bottrops aufgefordert, uns Themen und Thesen zu nennen, über die sie gerne im Wahl-O-Mat informiert werden wollen würden, wozu sich dann die Parteien, die sich bereit erklärt haben, mit uns zusammen zu arbeiten, tatsächlich auch positionieren müssen und Begründungen abgeben müssen. Aber zum Programm später mehr.
Vorstellung, Zukunft Bottrop, lokaler Wahl-O-Mat
Einmal kurz zu mir:
Mein Name ist Martin Smaxwil, ich bin so von Hause aus ein klassischer Gesellschaftswissenschaftler. Ich habe Psychologie und Sozialwissenschaften studiert, eigentlich fürs Lehramt, habe ich dann allerdings gegen den Lehrerberuf entschieden. Das hatte nichts mit dem Unterrichten und den Jugendlichen zu tun. Aber dieses Lehrerkollegium war nicht das Biotop, in dem ich den Rest meiner beruflichen Zeit hätte verbringen wollen und habe dann mit diesem psychologischen und sozialwissenschaftlichen Studium nachher das Diplom-Pädagogikstudium abgeschlossen. Beides an der Universität Duisburg-Essen, wobei … eigentlich war es an der Universität Duisburg und an der Universität Essen, denn die Fusion ist erst dann passiert, als ich schon immatrikuliert war, habe dann relativ lange am Lehrstuhl für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie gearbeitet, in der Forschungsgruppe Systemmanagement. Da haben wir uns grundsätzlich mit den kognitionspsychologischen Funktionen auseinandergesetzt, wie eigentlich Individuen in Organisationsstrukturen funktionieren. Mein persönlicher Forschungsschwerpunkt war allerdings "Gefahrenkognition und Verkehrssicherheit". Das heißt: Warum werden eigentlich unsichere Situationen nicht als unsicher begriffen? Und warum kommt es dann eigentlich zu z.B. Verkehrsunfällen? Das heißt: Welche lerntheoretischen und welche verarbeitungstechnischen Funktionen laufen da eigentlich ab in so einer “Birne”, dass tatsächlich die objektive Gefahr nicht als subjektive Gefährlichkeit repräsentiert ist?
Damit habe ich mich relativ lange auseinandergesetzt, hab danach nen Ausflug gemacht in die privatwirtschaftliche Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und Weiterbildung und bin heute an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum und macht da irgendwie alles, was mit E-Learning und Medieneinsatz in der Lehre zu tun hat, von der Vorlesungsaufzeichnung über die mediendidaktischen Konzepte bis hin zu technischer Ausstattung von Hybrid-Seminarräumen zum Beispiel. Außerdem engagiere ich mich in der dann noch übrig bleibenden Zeit in der Bürgerinitiative “Zukunft Bottrop” und für den Fall, dass ich zu schnell, zu langsam oder Quatsch rede oder Sie Fragen haben: Unter der unten stehende E-Mail-Adresse können Sie mich gerne jederzeit erreichen.
So, einmal ganz kurz: Wer sind wir eigentlich und warum? Die Initiative Zukunft Bottrop ist eine überparteiliche, unabhängige Initiative Bottroper Bürger:innen, versteht sich allerdings als loses Netzwerk: Wir sind so ein harter Kern von so fünf Leuten ungefähr, aber verzahnt und verdrahtet mit relativ vielen anderen Initiativen hier in der Stadt. Uns geht es vor allem um transparente Kommunikation von Politik und Verwaltung. Denn oft habe ich das Gefühl, dass man als Bürger ähm, – ich sage es mal nett – etwas ratlos davorsteht, wenn es Veränderungen im Stadtbild und/oder in der Stadtgesellschaft gibt und man sich fragt: Wo kommt eigentlich diese Entscheidung her? Und warum ist das so?
Und uns geht es um die informierte Bürgerschaft, also das Aufklären, das transparent machen von Entscheidungsprozessen und warum eigentlich die Stadt so aussieht, wie sie momentan aussieht und was die Leute, während sie in diversen Ausschüssen und Ratssitzungen im Rathaus ihre Zeit verbringen, denn eigentlich gedenken, dafür oder dagegen zu tun. Das, was bei Veränderungsprozessen auf lokaler Ebene für uns auf jeden Fall ebenfalls von relevanter Bedeutung ist, ist eine systematische Öffentlichkeitsbeteiligung. Ich denke, dass alle Bürger:innen irgendwie an den politischen Prozessen beteiligt werden sollten. Die Form der Öffentlichkeitsbeteiligung sollte direkt mit den betroffenen Bürger:innen zusammen entwickelt werden. Auch da diskutieren wir relativ viel mit Verwaltungsmenschen und politischen Akteuren. Wir sind hartnäckig, aber die systematische Öffentlichkeitsbeteiligung könnte noch ein wenig auf sich warten lassen.
Außerdem wünschen wir uns sehr gerne einen Zukunftsplan für Bottrop, also die übergeordnete Vision, dass man versteht, wenn ich morgens aus dem Haus geh und plötzlich vor der Barke der Baustelle stehe und mich frage “Was passiert denn hier eigentlich?”, dass mir irgendjemand dieses kleine Mosaiksteinchen in einen größeren Zusammenhang einordnet, damit ich überhaupt verstehe, wo, auf welcher Reise ist die Stadt momentan und wo soll es hingehen? Und nicht zuletzt geht es uns um transparente Dokumentation von Stadtentwicklung. Was genau passiert in den integrierten – wie heißen die? – städtebaulichen Entwicklungskonzepten (hier, hier, hier) zum Beispiel. Was passiert gerade in der Hansastraße? Wann wird der Saalbau abgerissen? Wieso ist der Rathausplatz eine Baustelle? Solche Sachen hätten wir gerne irgendwo transparent aufgemetert, damit man mal sieht, was passiert da eigentlich und warum das Ganze? Genau. Ich habe noch ein paar Links hinzu gepackt. Für alle, die das ebenfalls interessiert, ist das die Einladung, uns auf dem ein oder anderen Kanal zu folgen.
Wir haben unter anderem das momentane Jahr 2025 in dem Themenschwerpunkt “Superwahljahr 2025” abgebildet, weil wir relativ viele Wahlen hatten und haben. Ich weiß nicht, wie viel man davon mitbekommt, aber wir hatten natürlich die vorgezogene Bundestagswahl, die ist wahrscheinlich vielen Leuten auch noch bekannt. Aber dass wir bis Ende Mai zum Beispiel die Wahl zum Jugendparlament hatten – ist mir nicht klar, ob das tatsächlich alle mitbekommen haben. Dann haben wir im September die große Kommunalwahl, wo der Oberbürgermeister, die Oberbürgermeisterin gewählt wird, wo der Rat der Stadt gewählt wird, wo der Integrationsausschuss gewählt wird, wo die Bezirksvertretungen gewählt werden und wo das Ruhrparlament gewählt wird. Ich glaube, ich habe sie alle. Aber man sieht: Wahlentechnisch ist einiges los in 2025.
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, möglichst viele von diesen Wahlprozessen irgendwie zu begleiten, zu erklären und auch unserer Hoffnung nach zumindest irgendwie positiv auf die Wahlbeteiligung einzuwirken, indem wir zum Beispiel die Bundestagswahl mit so einer Flyeraktion begleitet haben, in dem wir für die Oberbürgermeister:innenwahl die Steckbriefe etabliert haben. Das heißt, alle bisher bekannten Kandidat:innen dürfen / müssen sich bei uns vorstellen in so einer Form von einem Steckbrief. Wir stellen die online, damit sich die Erstwählenden und die Wahlberechtigten überhaupt sich mal damit auseinandersetzen, wer steht denn da überhaupt zur Wahl? Jetzt gibt es noch den Rat der Stadt, das ist das höchste Gremium, was wir haben in der Lokalpolitik. Das ist quasi das Stadtparlament. Und die Wahl zum Rat der Stadt ist tatsächlich erstaunlich unterbelichtet. Deswegen haben wir uns gedacht, das, was man sonst so bei Bundestagswahlen macht, das können wir doch eigentlich auch auf kommunaler Ebene machen. Deswegen haben wir dieses lustige Projekt, den kommunalen Wahl-O-Maten, ins Leben gerufen, wo es darum geht, dass sich die Parteien zu Thesen äußern sollen, und zwar zu solchen, die die Bürger:innen ganz besonders interessieren.
Also: Wir würden gerne die Parteipositionen irgendwie an die Wahlberechtigten vermitteln. Wir würden gerne das Interesse an politischen Prozessen wecken und eventuell die Wahlbeteiligung erhöhen, denn die Kommunalwahlbeteiligung ist leider auf einem absteigenden Ast. Der Trend zeigt nach unten und wir versuchen durch unsere Aktionen irgendwie ein bisschen frischen Wind reinzubringen und die Leute eventuell wieder für lokalpolitische Prozesse zu interessieren. Wir wollten vor allen Dingen Themen und Diskussionen aus der Bürgerschaft aufnehmen. Deswegen haben wir relativ großen Aufruf gestartet, dass die Leute uns ihre Themen und ihre Bauchschmerzen mitteilen sollten, woraus wir dann heute und in dem Folgeprozess Wahl-O-Mat-Thesen erarbeiten, die wir dann den Parteien vorlegen und damit die Parteien so ein bisschen “nötigen”, sich zu den Themen zu positionieren, die die Bürger:innen bewegen.
Denn die Parteien kriegen dann natürlich die Chance, erstens ebenfalls allen Thesen zuzustimmen, sie abzulehnen oder sich neutral zu verhalten. Und sie kriegen außerdem die Chance, zu jeder These eine Begründung abzugeben. Die kennen Sie vielleicht von dem Bundes-Wahl-O-Maten, dass Sie am Ende auf der Auswertungsseite sich zu allen Positionen auch noch mal die ausführlichen Begründungen der Parteien anschauen können, so dass man ein Gefühl dafür kriegt, welche politischen Akteure sind in Bottrop überhaupt aktiv und wofür stehen die so? Und wie groß ist eigentlich die Übereinstimmung mit meinem persönlichen Positionen?
Es gibt eine ganze Menge Herausforderungen in dem Projekt, unter anderem den Datenschutz. Die politischen Einstellungen sind besonders schützenswerte Daten nach Datenschutz-Grundverordnung, sog. Art.9-Daten. Wir brauchen eine technische Umsetzung, die stabil läuft, die aber trotzdem selbsterklärend und relativ einfach zu bedienen ist. Das machen wir mit dem Kollegen Professor Dr. Malte Weiß in einem anderen Teilprojekt; hier und heute soll es vor allen Dingen darum gehen, dass wir parteipolitisch neutrale, nicht beeinflussende Inhaltsentwicklung vorantreiben. Alle Projektdetails findet man unter dem unten eingeblendeten Link.
Beispiele für sprachliche Beeinflussung
So. Thema heute soll sein Framing, Kampfbegriffe, Narrative, Dog Whistles… da gibt es diverse Schlagworte, die momentan in der aktuellen Diskussion sind. Alle reden drüber, aber was ist das? Hier ein paar Beispiele: “Wir wollen weg vom links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland.” Ich habe, damit sie nicht so lange suchen müssen, die wichtigen Teile dieser Aussage rot markiert. Also erstens wir reden über "Verseuchung”, was irgendwie so ein … also in meinem Kopf macht dass so was Schmutziges, was Anrüchiges, was Schäbiges. Und bei “68er” leuchtet zumindest bei mir im Kopf immer dieser halbnackte, mit Dreadlocks verfilzte, dauer-kiffende Super-Hippie auf. Aber das ist genau der Punkt, das was da passiert. Ich kann mit relativ wenigen Keywords kann ich in den Köpfen von Menschen Bilder hervorrufen, die eine ganz bestimmte, einen ganz bestimmten Drive, ein Drall haben, dass ich damit versuche, Leute in irgendeiner Form zu beeinflussen. Das ist jetzt ein Zitat von einem AfD-Kandidaten.
Das können allerdings alle relativ gut: “Weil ich das animalische Grunzen der AfD-Fraktion voraussehen konnte, möchte ich einordnend sagen, worüber wir reden, wenn wir ‘Klimaschutz’ sagen.” Das war so ein bisschen die Antwort auf die Frage “Sage Schwein ohne Schwein zu sagen.” Aber auch Herr Habeck kann tatsächlich mit Worten ganz gut umgehen. Von diesen Beispielen habe ich eine ganze Menge mitgebracht: “Wenn man sich eine solche Natter an den Hals holt, dann wird man von dieser Natter erwürgt.” Erstens: Ich finde dieses Wort “Natter”, das kommt schon so ein bisschen fies daher. Die Natter. Und die scheint auch tatsächlich in der Lage zu sein, mein Leben zu bedrohen, denn ich werde von dieser Natter erwürgt.
Alle dieses … alle diese Beispiele, hier zum Beispiel von der ganz Linken: “Vor allen Dingen wollen wir endlich eine gerechte Vermögenssteuer. Damit die pervers Superreichen mit ihren leistungslosen Vermögen sich endlich fair an der Finanzierung der Gesellschaft beteiligen.” Klingt erst mal nach einer sinnvollen Forderung. Aber die … der Konnex zwischen großem Reichtum und Perversität einerseits und andererseits die Unterstellung, dass dieses Vermögen ja völlig ohne eigene Leistung irgendwie auf diese Betroffenen heruntergeregnet sei – überall da stecken natürlich gewisse Botschaften drin, die die Rezipient:innen in eine ganz bestimmte Richtung schicken. Das streckt sich so quer über das gesamte Parteienspektrum. Die Gleichsetzung von Putin und Habeck, das schafft Wolfgang Kubicki, und das Wort “Führer” ist vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit bei mir erstaunlich negativ besetzt. “Der Auserwählte” hat eher so einen religiösen Konnex irgendwie drin. Also auch da wird versucht, über Sprache Menschen zu beeinflussen.
Das Narrativ der SPD, so ein Klassiker, die Solidarität. Niemand wird zurückgelassen – “you’ll never walk alone” – gibt es in vielen Spielarten. Mal wieder ein Beispiel von ganz rechts: “An die Fake-News-Wokeista hier: Lieben Sie doch, wenn Sie wollen, unter Erwachsenen einvernehmlich. Aber lassen Sie Ihre dreckigen Pissgriffel von den Kindern.” Entschuldigung, aber Zitat. Da reden wir schon nicht mehr über Framing oder über Beeinflussung. Das ist tatsächlich einfach ein Angriff und eine krasse Abwertung von Andersdenkenden. Die Gegenüberstellung von Ausländern und Inländern, die Cem Özdemir hier vornimmt, macht auch was mit mir, nämlich die Kategorisierung von Menschen: Wer gehört wohin, in welche Gruppe?
Friedrich Merz noch einmal: “Politik für die Mehrheiten, die noch alle Tassen im Schrank haben und nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt.” Sie werden es mitbekommen haben in dem Wahlkampf, der jetzt gerade zu Ende gegangen ist. Noch einmal die Geschichte von der Solidarität und der fairen Lastenteilung. Die FDP noch einmal mit einer “Kriegsrhetorik”: “Wir haben einen Papierkrieg, der jedes mittelständische Unternehmen lähmt. Und das ist nur ein kleiner Teil unserer umfassenden Offensive”. Also man befindet sich in irgendeinem Krieg, plant irgendeine Offensive und die Kriegsversehrten sind scheinbar gelähmt. Also auch da stecken überall so kleine oder größere Botschaften drin. “Über 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Flüchtlinge sind Botschafter dieser Kriege und des Elends auf der Welt.” von der Linken.
“Migration ist die Mutter aller Probleme”, finde ich, ist ein Klassiker unter den Beeinflussungen. Die Erhöhung eines … einer relativ normalen menschlichen Wanderbewegung in einer globalisierten Welt zu so einer Art Meta-Problem zu erhöhen, zu der Mutter aller Probleme, das schafft Horst Seehofer. Und dann noch mal ein anderer Klassiker. “Es wird ein groß angelegtes ‘Remigrations’-Projekt notwendig sein und das wird wohl nur mit ‘wohltemperierter Grausamkeit’ umgesetzt werden können.” Das sagt Björn Höcke. Wobei “Remigration” noch mal ein ganz besonderer Fall ist, denn das ist eigentlich eine Form von einem Euphemismus. Da kommen wir aber nachher noch mal drauf. Denn wenn Migration eine relativ normale Wanderbewegung ist, dann kann Re-Migration ja nichts Schlechtes sein, denn die gehen ja eigentlich nur wieder dahin zurück, wo sie hergekommen sind. In Verbindung mit der “wohltemperierten Grausamkeit” sollte jedem klar sein, dass wir über Deportation reden und nicht über Remigration. Nichtsdestotrotz wird natürlich hier über Sprache versucht, eine ganz bestimmte Botschaft, eventuell eine Verharmlosung, eine Zuspitzung oder ähnliches an die Rezipient:innen zu transportieren.
Neurologische Basics
Warum genau funktioniert das so, wie es funktioniert? Ein paar ausgewählte neurologische, kognitionstheoretische, linguistische Hintergründe. Ich bin allerdings weder Neurologe, noch stehe ich momentan tief im Thema Kognitionspsychologie, noch bin ich Linguist. Ich bin so eine Art – also wie alle Gesellschaftswissenschaftler – so eine Art “Universalamateur”: Wir können alles ein bisschen, aber nichts richtig. Nichtsdestotrotz nehme ich mir heraus, kurz ein paar Sachen davon vorzustellen. Wie funktioniert eigentlich Sprache und Sprachenlernen im Gehirn? Da sind zwei Bereiche besonders relevant, nämlich einmal das Broca-Areal, linker Stirnlappen, eher hier vorne, ist für Syntax zuständig. Also so was wie Satzbau, grammatische Regeln, solche Geschichten, eher eine logische Herangehensweise – und das Wernicke-Areal, auch links, allerdings ein bisschen weiter hinten, ist für die Bedeutungsaufladung und die Semantik zuständig.
Sie werden diese Abbildung eventuell noch aus den Biologiebüchern Ihrer Schulkarrieren kennen. So ungefähr wurden immer Neuronen oder Nervenzellen im Gehirn dargestellt, wo von dem Zellkörper eines Neurons über Dendriten und das lange Axon irgendwie eine lustige Vernetzung stattfindet. Ich finde die – wenn man sich ein bisschen mehr damit beschäftigt – finde ich die immer ein bisschen verharmlosend, denn man sieht immer nur so eine Nervenzelle, die so ein bisschen Verbindungen zu anderen Nervenzellen hat. Aber wenn wir gleich über die Menge von Nervenzellen reden, die in so einem menschlichen Gehirn sind, dann wird auch klar, was das für ein abgefahrenes, komplexes Konstrukt ist. Die damit gebildeten neuronalen Netze, die kennt man eventuell aus dieser KI-Debatte, die ja momentan läuft. Ich weiß nicht, ob diese Hochschule davon auch so betroffen ist wie unsere, aber es ist auf jeden Fall “interessant”. Die Schnittmengen zwischen der der echten Neurobiologie und der Diskussion um KI sind tatsächlich erstaunlich groß.
Diese Nervenzellen sind miteinander verknüpft über die sogenannten Synapsen, also die Endpunkte, wo der elektromagnetische Impuls in einem biochemischen Impuls übersetzt wird. Ich möchte sie mit den biologischen Grundlagen nicht weiter langweilen. Das, was eigentlich passiert, wenn man Dinge lernt, – also wenn ich die Vokabelkarte noch dreimal umdrehe oder wenn ich zum vierten Mal mein Gewicht falsch verlagert habe und mich auf die Fresse gelegt hab – das, was da passiert ist, es werden die entsprechenden Verbindungen zwischen den Nervenzellen werden stärker. Das passiert relativ einfach, indem entweder die Menge der Botenstoffe oder die Stärke des elektromagnetische Impulses oder die Anzahl der Verknüpfungen erhöht wird. Dadurch kommt es zu so ausgetretenen Pfaden, die einfacher verschaltet werden können. Je mehr Verknüpfungen, je stärkere Verknüpfungen, umso einfacher sind Informationen wieder abrufbar. Und diesen Vorgang nennt man dann wahrscheinlich “Lernen”.
Ich habe es angekündigt: 80 bis 90 Milliarden Neuronen in jedem einzelnen ihrer Köpfe, die bis zu 200.000 Verbindungen haben können. Also wir reden über 100 Billionen synaptische Verknüpfungen – und darin steckt auch der ganze Reiz und die Komplexität dieses Systems, denn darüber wird tatsächlich Wissen organisiert und über die eigentlichen synaptischen Prozesse wird Wissen gespeichert.
Muster, Konzepte, Kategorien, Stereotype
Wenn jetzt wir über Sprachverständnis reden, stellt sich da so ein bisschen die Frage: Warum weiß ich eigentlich, was z.B. das ist? Jeder wird es beantworten können, wir werden uns darauf einigen, dass ist ein Apfel. Jetzt lege ich einen zweiten daneben und auch da werden wir uns darauf einigen können: Das ist wohl ein Apfel. Und ich hab es vorweggenommen: Auch das dritte ist, Sie werden es sehen können, ein Apfel. Nichtsdestotrotz, obwohl die so völlig unterschiedlich sind, scheinen wir in der Lage zu sein, alle als Apfel zu erkennen. Das heißt, der Apfel ist ja nicht codiert als rote Kugel mit Stiel oder grüne Kugel mit Stiel, sondern irgendwie als Kugel mit Stiel. Und selbst wenn er eingedötscht ist und nicht so richtig kugelig, sondern eierig, scheint ja trotzdem irgendwie Apfel als Konzept zu funktionieren.
Das was wir da machen, ist so eine Art Mustererkennung. Auch das kennt man wahrscheinlich aus der KI-Debatte. Ich muss einfach nur 1 Millionen Hundebilder der KI vorwerfen, damit sie die Merkmale von Hunden erkennt und dann selbstständig Hundebilder von Katzenbildern z.B. unterscheiden können. Und trotzdem finde ich, man macht sich viel zu wenig Gedanken darum, wie eigentlich so ein Gehirn funktioniert. Denn ob auf diesem Bild, was Sie sich jetzt hier vorstellen können, ein Hund ist, die Frage können Sie relativ leicht beantworten. Aber woher Sie wissen, dass ein Hund ein Hund ist? Da wird es schon erstaunlich dünn, denn wenn Sie denken: “Ja okay, aber das erkennt man halt, weil – der hat zwei Ohren, zwei Augen, eine Nase, vier Beine, einen Schwanz und Fell in ganz spezifischen Farben”, dann ist das natürlich eine nette Beschreibung und auch irgendwie eine Merkmalskombination, aber die trifft ja auch auf Katzen zu. Und trotzdem sind wir in der Lage – und zwar schon relativ früh, seitdem wir uns mit sechs Monaten zum ersten Mal aus den Kinderwagen rausgelehnt haben, mit dem Finger drauf gezeigt haben und laut “Wauwau!” geschrien haben – wissen wir irgendwie, was ein Hund ist.
Das heißt, Sie haben relativ früh das Konzept Hund verinnerlicht und können es jetzt wieder abrufen. Das was da passiert, nennt sich also klassische Mustererkennung. Trotz teilweise krasser Unterschiede funktioniert die Mustererkennung zum Glück recht verlässlich. Sonst wären wir im Alltag wahrscheinlich nicht überlebensfähig. Da werden viele Eigenschaften zu einem Muster zusammengefügt, was man dann auch “Konzept” nennen kann und die beim Wiedererkennen helfen. Der Spracherwerb bei Babys ist tatsächlich so, dass er schon wahrscheinlich schon im Mutterleib passiert und dass die Babys, obwohl sie noch nicht verbalisieren können, zum Beispiel schon erkennen können, ob ein Gegenstand in eine bestimmte Kategorie gehört oder eben nicht. Das heißt, der Spracherwerb funktioniert erst kognitiv und dann verbal. Alle oder die meisten Konzepte, die sie in ihren Köpfen haben, die sind also ungefähr so alt wie Sie, vielleicht ein bisschen älter, wenn sie schon vor der Geburt angefangen haben zu entstehen.
Jetzt gibt es den Begriff Stereotype. Der ist für Äpfel zum Beispiel etwas ungeeignet, weil wir können ja nicht von dem stereotypen Apfel reden. Also können wir natürlich schon, aber da würde man eher von Prototypen oder von Archetypen oder von – keine Ahnung – solchen Sachen reden. Der Stereotyp ist eher sozialpsychologisch und alltagssprachlich aufgeladen als Beschreibung von Personen oder Gruppen. Ein Beispiel ist … ein relativ frühes Beispiel ist z.B. die sogenannte steirische Völkertafel aus dem 18. Jahrhundert. Da war jemand so nett, mal die verschiedenen Nationalitäten nebeneinander aufzumetern, so was wie “der Deutsche”, “der Franzos” usw. und hat sich die Mühe gemacht, auch so was wie die geistige Kompetenz, Verhalten und andere Eigenschaften dieser verschiedenen Gruppen nebeneinander zu stellen. Ich muss hoffentlich nicht erwähnen, dass das Quatsch ist, aber worum es mir geht ist: Stereotype können Trägermedium von Vorurteilen sein. Ich habe mal in Klammern die eventuelle Assoziation dahinter geschrieben, aber dass Bibliothekarinnen eher introvertierte Menschen sind, dass Bauern eventuell ein bisschen dösig sind, dass “die Ausländer” scheinbar faul sein können und dass Frauen von Technik keine Ahnung haben, das sind so klassische Vorurteile, wo Stereotype Trägermedien für reine Vorurteile sind.
Jetzt, wenn wir über solche Konzepte reden, dann würde ich gerne einmal kurz einen Blick darauf werfen, wo hört so ein Konzept eigentlich auf? Also – klingt jetzt ein bisschen bescheuert, aber das Konzept von einem Tisch zum Beispiel. Wir können uns ja darauf einigen, das ist wohl ein Tisch. So, der steht in der Küche von mir aus. So, der hat eine rechteckige Platte, der ist so etwa hüfthoch, der hat vier Beine. Jetzt stelle ich den nicht in die Küche, sondern ich stelle ihn ins Wohnzimmer. Ich mach die Platte ein bisschen kleiner, der ist ein bisschen niedriger, ansonsten erfüllt er immer noch irgendwie alle Merkmale, die so ein Tisch mitbringen muss. Dann mache ich da irgendwie andere Beine dran und stell das ins Büro und mach mein ganzes Arbeitsgeraffel drauf und drunter. Wir können uns wahrscheinlich trotzdem noch darauf einigen, dass wir bei allen Dingen hier von einem Tisch reden. Die Frage ist so ein bisschen: Gibt es eine Grenze von dem “Konzept Tisch”? Ich mache geht es noch kniehoch, ich mache die Platte rund und ich mache nur noch drei Beine dran. Da ist so ein bisschen die Frage: Ist das noch ein Tisch? Also im Namen hat dieses Beistell-Tisch-chen natürlich das Tisch noch drin, aber ganz ehrlich: Der Sinn hat sich mir nur so begrenzt erschlossen, weil man haut sich im Grunde nur die Knie ein, hat aber dafür irgendwie ein Ablageplatz für dekoratives Geraffel. Aber ob das wirklich noch die Anforderung an das “Konzept Tisch” erfüllt, ist tatsächlich so ein bisschen die Frage.
Noch ein Beispiel: Wenn wir uns darauf einigen, dass man einen Vogel daran erkennt, dass er irgendwie Krallenfüße, zwei – wie nennt man die? – Flügel hat, dass es ein Gefieder hat und einen Schnabel, dann wäre ja rein theoretisch auch das ein Vogel. Das ist nicht der erste Vogel, der mir einfällt, wenn wir irgendjemand irgendetwas über Vögel erzählt. Wenn das der Prototyp von Schrank ist … der ist ein bisschen größer als ich, der hat Türen, der hat Fächer, da kann ich Sachen reintun, der hat irgendwie eine Kastenform. Dann müsste ja auch das irgendwie noch ein Schrank sein, der heißt auch Kühl-Schrank, der funktioniert bei uns im Kopf aber nicht als Schrank, der funktioniert bei uns im Kopf als Haushaltsgerät. Das heißt, irgendwie haben so Konzepte und so begriffliche Bedeutungsaufladungen relativ verschwommene Grenzen, wo sie eventuell zu etwas anderem übergehen.
Sprachverarbeitung: Repräsentation, Assoziation, Erinnerung
Was genau passiert jetzt, wenn so ein Begriff auf Ihr Gehirn prallt und in Ihrem Sprachzentrum irgendwie angefangen wird zu verarbeiten? Ich versuch ein kleines Experiment. Unklar, ob das funktioniert. Als ich damals vor erstaunlich vielen Jahren Psychologie studiert habe, hat das immer noch funktioniert. Ich werde gleich ein Wort sagen und Sie werden mir danach eine Frage dazu beantworten. Das Wort heißt “Sportwagen”. Und jetzt bitte ich einmal um Handzeichen. Bei wem ist der Sportwagen im Kopf nicht rot? Eins, zwei. Toll, vielen Dank. Vier. Na ja, gut. Es sind doch ein paar. Bei uns war es tatsächlich erstaunlich … waren es erstaunlich viele. Worauf ich hinaus will, ist das, was da eigentlich passiert: Ich sage Sportwagen, das prallt auf ihr Gehirn und das, was da passiert, ist: Sie rufen eine bildhafte Repräsentation auf. Niemand hat bei Sportwagen an Tech-Cheatsheets gedacht, wie viel PS und wie viel Zylinder, sondern wir haben ein Bild im Kopf. Das ist das, worauf ich hinauswill.
Das Erste, was passiert, ist: Wir aktivieren über ein Wort eine bildhafte Repräsentation. Wir rufen die Konzepte auf, die wir haben, wir schmeißen die Mustererkennung an, wir rufen ein Bild auf. Was als Zweites passiert, ist: Wir interpretieren, was da alles drinsteckt. Um bei dem Beispiel der Tische zu bleiben: Der Kontext macht so ein bisschen aus, reden wir eigentlich gerade über den Küchentisch oder den Couchtisch? Wenn jemand sagt, “ich sitze auf der Couch und hab meine Füße auf dem Tisch”, dann ist klar, dass er nicht 7 Meter lange Beine hat und die Füße auf dem Bürotisch hat, sondern wir natürlich über den Couchtisch reden. Das heißt, da passiert eine gewisse Interpretation der Semantik: Welche Bedeutung steckt da eigentlich noch mit drin? Dann wird assoziiert, das heißt, es werden benachbarte Themenkomplexe aktiviert. Wenn ich “schwarz” sage, kann man in bildgebenden Verfahren zeigen, dass auch der Bereich des Gehirns aktiviert wird, wo zum Beispiel die Bedeutung des Wortes “weiß” abgelegt ist, das heißt Gegenteile oder thematisch eng verknüpfte Bereiche werden ebenfalls aktiviert. Außerdem gibt es so etwas wie eine sogenannte “embodied cognition”, das heißt, wenn ich ein Bild von einer Knoblauchzehe zeige, dann wird der Hirnbereich aktiv, der für Geruch zuständig ist, weil das anscheinend bei Ihnen sehr eng mit einem typischen Geruch verknüpft ist.
Gleiches geht auch mit Geräuschen oder mit Bewegungsabläufen: Das Wort “Hammer” z.B. führt bei jedem oder bei vielen Gehirnen dazu, dass tatsächlich der motorische Bereich des Gehirns aktiviert wird, wo wir den Bewegungsablauf des Hammerbenutzens einmal zumindest vor dem geistigen Auge durchführen. Und wir werden individuelle Erinnerungen aktivieren. Was genau habe ich für eine Beziehung zu dem Begriff? In diesem Fall ein Sportwagen. Noch einmal durchgespielt am Tisch-Beispiel: Ich sage “Tisch”. Sie aktivieren oder wir rufen als bildhafte Repräsentation den Prototypen auf, interpretieren den Zusammenhang, machen also so etwas wie … Durch die Interpretation rufen Sie die eventuell möglichen Variationen auf. Sie assoziieren damit thematisch zusammenhängende Bereiche, wie zum Beispiel Stuhl. Sie werden – jetzt ist der Tisch ein schlechtes Beispiel, weil der ist geschmacklich und geruchstechnisch nicht super spannend – aber Sie werden eventuell so was wie Bewegungsabläufe “am Tisch sitzen” oder ähnliche Sachen aufrufen. Und Sie werden sich daran erinnern, wie Sie gestern mit den netten Menschen bei der dritten Flasche Wein zusammen am Tisch gesessen haben. All das passiert, nur wenn ich Tisch sage und das sind halbwegs automatisierte Abläufe. Das heißt, die Überheblichkeit, dass sich jeder total einfach aufgrund von einer gewissen Aufgeklärtheit gegen sprachliche Beeinflussung zur Wehr setzen kann, ist glaube ich, nicht angebracht. Denn relativ viele der kognitionspsychologischen Prozesse sind tatsächlich automatisch ablaufend. So ungefähr kann man sich schematisch vorstellen, was passiert eigentlich, wenn Sprache im Gehirn verarbeitet wird?
Linguistik: Funktionen von Sprache
Die Linguisten und Linguistinnen würde ich auch noch mal gern vorkommen lassen, denn die gehen ein bisschen anders an das Thema Sprache und Sprachverarbeitung heran. Die gucken vor allen Dingen darauf, welche Funktion hat eigentlich Sprache zwischen dem Sender und dem Empfänger, Senderin, Empfängerin, und welche Aufgaben übernimmt Sprache eigentlich in der Kommunikation? Erstens: Eine Symbolfunktion. Ich beschreibe etwas, habe einen sogenannten Verweis auf die Welt aus meiner eigenen Perspektive. Wenn ich also sage “Ich habe gestern mit meinen Mitarbeiter:innen im Teammeeting zusammengesessen und wir sind in dem Projekt schon erstaunlich weit gekommen”, dann hat “Mitarbeiter:innen” in diesem Satz ja eine gewisse Bedeutung. Erstens reden wir über scheinbar männliche und weibliche, eine recht diverse – Stock Foto: sehr diverse – Gruppe von Menschen, die irgendwie zusammen mit mir in einem Arbeitskontext stehen. Das ist die reine Symbolfunktion. Die hat aber auch eine Symptomfunktion, die sagt nämlich auch etwas über mich aus, nämlich erstens, dass ich arbeitend bin und dass ich zum Beispiel, um bei diesem gegenderten Beispiel zu bleiben, auch geschlechtersensible Sprache benutze. Und dieses Symptomfunktion ist eng verknüpft mit einer dritten Funktion. Das ist die Appellfunktion. Denn wenn ich geschlechtersensible Sprache benutze, schwingt da auch immer so ein bisschen der Appell mit drin: Nutze doch auch geschlechtersensible Sprache, oder lehne sie radikal ab, mir egal, aber da schwingt auf jeden Fall so was mit drin: Ich finde das gut. Ich verorte mich damit zu einer gewissen Gruppe zugehörig. Und wenn du damit übereinstimmt, wäre das eine Einladung, das eventuell selbst so zu übernehmen. Das sind so grob die Grundfunktionen, wie Sprache abgespeichert wird, was passiert, wenn Sprache aufs Gehirn trifft und welche Funktionen Sprache hat.
Sprachbilder und Metaphern
Reden wir jetzt mal darüber, wie ich diese Sprache benutzen kann, um andere Menschen zu beeinflussen. Wir fangen relativ einfach an, nämlich mit Sprachbildern und Metaphern. Ich fand diese Gedichtsinterpretationen im Deutschunterricht fand ich immer ein bisschen schwierig, weil bei mir haben diese Worte oft nicht das ausgelöst, was sie laut Interpretationsleitfaden von Reclam hätten auslösen sollen. Nichtsdestotrotz hat man dann relativ viel angefangen, da irgendwie hineinzuinterpretieren. Aber Sachen, die wir wohl alle kennen, sind zum Beispiel so etwas wie ein “gebrochenes Herz”. Das wir bei einem Herzen von einem relativ weichen menschlichen Organ reden, das wir nicht einfach auf den Boden schmeißen, damit es in 1000 Teile zerbricht, ist wahrscheinlich klar. Nichtsdestotrotz weiß jeder, was gemeint ist, wenn ich “gebrochenes” Herz sage. Niemand von ihnen hat jemals eine Nadel im Heuhaufen gesucht, hat aber dieses lustige Sprichwort wahrscheinlich schon das ein oder andere Mal benutzt. Das heißt, wir arbeiten mit bildhafter Sprache, um bestimmte Zusammenhänge deutlich zu machen.
Ob das blinde Huhn jemals ein Korn gefunden hat? Ich weiß es nicht. Angeblich findet selbst das blinde Huhn irgendwann eins davon, mindestens. Und wenn die Sonne lacht, ist uns klar, dass es nicht ein Gesicht ist, das tatsächlich lacht. Es scheint irgendwie die Codierung zu sein, von “Es sind keine Wolken am Himmel, man hat freien Blick auf die Sonne, es ist sehr angenehm, es ist wahrscheinlich warm” und das alles steckt in “die Sonne lacht”. Ist ja ganz erstaunlich, aber da passieren ja Dinge in unserem Kopf. Das sind Metaphern, das sind jetzt ein bisschen solche, die funktionieren nicht so nach diesen klassischen Konzepten und Mustern, sondern das sind welche, die muss ich tatsächlich erlernen. Das heißt, ich muss tatsächlich lernen, was genau meint eigentlich Sender, Senderin, wenn er / sie von “lachender Sonne” redet. Das muss ich mir tatsächlich kognitiv erarbeiten oder ich muss zumindest Transferleistungen erbringen, wenn zum Beispiel “der Mond oder die Sonne seine oder ihre Bahn über den Himmel zieht”. Denn das Bahnen ziehen kann man ja eher von … vom Laufen oder vom Schwimmen oder so. Nichtsdestotrotz ist ja klar, dass es irgendwie um zeitliche Verläufe und um die bestimmte Form einer Bewegung geht. Aber auch da muss ich tatsächlich sprachlich erst mal eine gewisse Transferleistung erbringen, um zu verstehen, was sich hinter diesem Bild verbirgt.
Es gibt Tausende von bildhaften Sprachbildern in der Alltagssprache. Die Baumkrone zum Beispiel, die sitzt nicht auf dem Baumkopf des Baumkönigs, aber trotzdem weiß jeder, was gemeint ist, wenn jemand Baumkrone sagt oder: auf dem Flaschenhals sitzt kein Flaschenkopf usw. Sie verstehen, was ich meine. Wir arbeiten relativ viel mit bildhafter Sprache und alle verstehen einigermaßen, was damit gemeint ist und alle auch einigermaßen das gleiche. Nichtsdestotrotz reden wir hier nicht über so klassische definierbare Konzepte wie zum Beispiel “der Apfel” oder “der Tisch”.
Framing, Kampfbegriffe, Dog Whistles
Dann gibt es das große Thema Frames oder Framings, was in den letzten Jahren in der öffentlichen Diskussion auf jeden Fall an Fahrt aufgenommen hat. Grundsätzlich geht es dabei genau darum, über das wir gerade schon gesprochen haben, nämlich über die Aktivierung von ganz bestimmten Hirnarealen und über den Abruf von Bedeutungsaufladung. Allerdings nicht zwingend, dass sie in einem direkten, in einer direkten Verbindung mit dem Inhalt der Aussage stehen. Klingt kompliziert, ich bringe ein paar Beispiele mit. Die sind jetzt aus den letzten Monaten und Jahren zusammengesammelt. Ich habe die für mich relevanten Wortteile mal ein bisschen markiert.
Wenn wir Asylantenflut oder Flüchtlingswelle hören, wenn also die Ankunft von Migrant:innen gleichgesetzt wird mit einer Form von Naturgewalt, dann passiert genau das, was wir da eben an dem Tisch durchdekliniert haben. In unserem Kopf werden durch die Begriffe ganz bestimmte Muster hervorgerufen und Assoziationen geweckt und die Flutwelle, die über mich hereinbricht, hat ja durchaus ein – nennen wir es mal – Bedrohungspotenzial, vor dem ich mich gerne schützen wollen würde. Das heißt, hier wird über die Wortwahl ein ganz bestimmter Bewegungsrahmen, Entschuldigung, Bedeutungsrahmen aufgezogen. Deswegen heißt das Ding auch Frame, damit darin dann die semantische Interpretation stattfindet. Das Wort Steueroase ist noch so ein Beispiel. Bei Oase denkt man irgendwie: Nach drei Tagen Wüste bin ich froh, endlich mal wieder eine Wasserstelle zu finden und dann mich in den Schatten unter der saftig grünen Palme zu legen und meinen Akku aufzuladen. In Verbindung mit Steuern weiß man so ein bisschen, wo die Reise hingeht, nämlich: Da ist es besonders angenehm – für mein Geld. Also da wird versucht, über Begriffe ganz bestimmte Assoziationen und Bedeutungen hervorzurufen, um den Inhalt der Aussage in eine bestimmte Richtung zu lenken. Corona-Diktatur haben sie mitbekommen, aber auch der Spritfresser z.B., da ist ja klar, wo die Reise so grob hingehen soll.
Die gibt es auch in positiver Form, die müssen nicht alle so dramatisch sein wie die Klimakrise oder der Klimaterrorismus oder so, es gibt auch den Umweltaktivismus, das klingt schön aktiv, das ist wahrscheinlich besser als Umweltpassivismus, genauso wie das Willkommenszentrum und das Transitzentrum. Das klingt wie ein Angebot vom lokalen Reisebüro. Also toll, wirklich. Aber wenn wir uns angucken, worüber wir da reden: Wir reden über Lager an Außengrenzen, wo Menschen unter nur bedingt menschenfreundlichen Bedingungen untergebracht werden, wenn sie versuchen, irgendwie nach Europa einzuwandern. Genauso wie “Außengrenzen schützen”. Das ist jetzt so ein bisschen … Gerade der Schutz ist eins der sogenannten “Hochwert”-Wörter. Da kommt gleich noch mal drauf. “Remigration” habe ich im Intro dieses Vortrags schon drüber gesprochen, aber auch so was wie “Fortschrittskoalition” sind zum Beispiel so Begriffe, wo Assoziationen geweckt werden, die einen ganz bestimmten Drive haben, um eben diesen Bedeutungsrahmen aufzuziehen, damit eine gewisse Beeinflussung stattfinden kann. Die Hochwertwörter – gerade schon erwähnt – wie Offenheit, Freiheit, Sicherheit, Schutz, alles positiv besetzte Wörter, die in Wortkombinationen gerne dazu führen, dass wir etwas positiv aufladen wie das Willkommenszentrum, was so offenherzig klingt, was allerdings mit dieser Offenherzigkeit nur begrenzt viel zu tun hat. Und es kommt zu lustigen Neuschöpfungen, sowas wie die Freiheitsenergien oder die Technologiesoffenheit, die Zukunftsfonds oder der Doppelwumms. Auch da wird versucht, über ganz bestimmte Wortkombinationen entsprechend Bedeutungen zu übermitteln.
Es gibt ein total spannendes Experiment, ich habe es “Virus- vs. Raubtier-Frame” genannt. Zwei Versuchsgruppen bekommen einen Text über die steigende Kriminalität in ihrem Ort. Und in dem einen sind die Formulierungen sehr krankheitsorientiert im Sinne von “Unsere Gesellschaft wird von der Kriminalität infiziert.” Eher so, als würde der “Organismus Gesellschaft” von der Krankheit befallen. Und auf der anderen, die die zweite Versuchsgruppe bekamen exakt die gleichen Informationen. Allerdings nicht mit dem Virus-Frame, sondern mit dem Raubtier-Frame. Unsere Gesellschaft wird von außen angegriffen und das “Monster Kriminalität” versucht uns zu zerfleischen und den Kitt aus unserer Gesellschaft irgendwie rauszukratzen. So, und dann hat man die Menschen nach dem Genuss dieser Texte aufgefordert, doch bitte mal Gegenmaßnahmen zu benennen, die helfen können. Und siehe da, die Menschen mit dem Virus-Text einigen sich auf eher soziale Maßnahmen im Sinne von “Wir müssen mal gucken, wo die Ursache ist, wir müssen diese Krankheit irgendwie heilen, unsere Gesellschaft heilen und irgendwie gucken, was wir dagegen machen können.” wogegen die Menschen mit dem Raubtier-Frame gesagt haben “Okay, wir werden angegriffen, wir werden uns wehren.” Die waren also sehr in repressiven Maßnahmen unterwegs, um dieses Raubtier in seine Grenzen zu verfrachten. So also können Frames oder Framings funktionieren.
Eine nächste Stufe sind sogenannte “Kampfbegriffe”. Da wird das Framing quasi noch ein bisschen auf die Spitze oder ein bisschen weitergedreht. Ich will es gerne einmal kurz abgrenzen von der Metapher, dem sprachlichen Bild und dem Frame, also einer absichtlichen Aktivierung eventuell themenfremder Bilder. Ein Kampfbegriff, da geht es tatsächlich darum, Leute anzugreifen oder andere Meinungen zu bewerten, zu abwerten oder zu diffamieren. Auch davon gab es in der letzten Zeit eine ganze Menge. Alle diese Beispiele sind immer in Abhängigkeit vom Kontext. Aber der Wahn im Genderwahn, also diese Absprache von einer gewissen Zurechnungsfähigkeit, der Konnex von Klimaaktivismus und RAF zum Beispiel. Hysterie ist so ein Super-Beispiel, denn wenn mich nicht alles täuscht – laut meinem Herkunftswörterbuch kommt Hysterie von “an der Gebärmutter leidend” – das hat also erstens eine völlig misogyne Attitüde und Herkunft. Andererseits ist dieses “hysterisch sein” immer irrational sein, ein bisschen doof sein, ein bisschen überreagieren, mal lieber locker bleiben. Also da wird natürlich … mit solchen Begriffen wird natürlich versucht, ganz bestimmte gegenteilige Meinungen anzugreifen. Den Covidoten, den kennen wir eventuell noch aus der Covid-Pandemie und so zieht sich das durch.
Das gibt es auch wieder über das gesamte politische Spektrum verteilt. Die Marktradikalität, also der Radikalismus von Menschen, die die Marktwirtschaft fördern und fordern wollen, da ist das schon eine ganz schön krasse Unterstellung drin, genauso wie in der Lügenpresse usw usw. Ist die CDU wirklich der Steigbügelhalter für die AfD oder nein? Und wenn ja, was sage ich eigentlich damit? Nämlich dass diese Partei eigentlich nur noch dazu da ist, der AfD in den Sattel zu helfen, zum Beispiel. Alle diese Worte sind dazu da, gegenteilige Meinungen zu attackieren und anzugreifen.
Damit verwandt sind die sogenannten “Dog Whistles”, ich gehe davon aus, dass alle wissen, worüber wir reden. Nichtsdestotrotz: Die Hundepfeife hat die Eigenschaft, so hochfrequent zu sein, dass das menschliche Gehör sie nicht wahrnehmen kann, der Hund allerdings schon. Das heißt, Dog Whistles sind Keywords, die eine ganz spezielle Zielgruppe ansprechen können, ohne dass der Mensch, der den Code nicht kennt, versteht, worüber da gerade geredet wird. Also die “Finanzelite” zum Beispiel ist am Ende des Tages meistens die globale jüdische Weltverschwörung, wo die reichen Juden im Hintergrund die Strippen ziehen, zum Beispiel. Die Frühsexualisierung: Natürlich möchte ich nicht, dass meine 5-jährigen Kinder Hardcore-Pornos konsumieren. Logisch. Das ist aber nicht gemeint. Frühsexualisierung ist die Dog Whistle dafür, zu sagen, wir werden in dem Biologieunterricht nur über zwei Geschlechter reden. Wir werden alle diversen Lebensformen ausschließen und wir werden sehr traditionelle Familienbilder vermitteln. Das steckt zum Beispiel hinter der Dog Whistle “Frühsexualisierung”. “Alice für Deutschland” klingt schon wie “Alles für Deutschland”. Das ist nicht umsonst verboten, weil es eben so eine schäbige Vergangenheit hat. Der “Ethnopluralismus”, … das klingt toll irgendwie, oder? Pluralismus. Wir lassen ganz viele Sachen nebeneinander gelten. Eigentlich steckt da aber hinter: “Jedes Volk, jede – Entschuldigung – ‘Rasse’ bleibt bitte da, wo sie hingehört und wir können dann parallel nebeneinander existieren.” Aber das sind klassische Dog Whistles, wo ein ganz spezielles Publikum, welches die Codes kennt, versteht, worüber geredet wird, wo aber ein Großteil der Allgemeinheit vor steht und denkt “Och ja, klingt ganz nett, so schlimm ist das gar nicht”. Aber damit werden tatsächlich Botschaften transportiert.
Narrative
Dann gibt es noch eine dritte Art von oder … ich hab nicht mitgezählt? … eine weitere Art von sprachlicher Beeinflussung, die sogenannten Narrative. Narrativ ist eine eher größere Erzählstruktur, umfasst also spezifische konstruierte Darstellung von Ereignissen, Charakteren, also die große (politische) Erzählung, warum Welt so ist, wie sie ist oder Gesellschaft so ist, wie sie ist und wie wir sie am liebsten woanders hin entwickeln wollen würden. Klassiker sind so “vom Tellerwäscher zum Millionär”, “des eigenen Glückes Schmied sein”, das Wirtschaftswachstum, das ewige, die Umverteilung und Solidarität oder die Erneuerung von [und dann Thema hier einfügen]. Also immer wenn dann darüber geredet wird, dass wir die Digitalisierung vorantreiben müssen oder dass wir die Bürokratie abbauen müssen, da wird mit relativ wenigen Worten wird ein großes, eine große Geschichte aufgespannt, wo jeder eigentlich sofort weiß, worüber geredet wird. Die häufigen Muster sind so die Heldenreise, die Selfmade-Man-Story und die große Gut-gegen-Böse-Erzählung, also das, was Dumbledore für Harry Potter ist, ist Yoda für Luke Skywalker. Sie dürfen sich jeder die popkulturelle Referenz raussuchen, die sie gerne hätten.
Aber die Heldenreise funktioniert halt genau so: Ein eher unscheinbarer Charakter macht sich auf die Reise, eine scheinbar unlösbare Aufgabe zu bewältigen, wird durch mehrere Rückschläge zurückgeworfen, trifft auf irgendeinen weisen Verbündeten, der ihm dann mit Rat und Tat zur Seite steht, um dann am Ende doch halbwegs alle Aufgaben lösen zu können. Das ist eine klassische Heldenreise und nach ähnlichen Strickmustern sind auch solche Narrative gestrickt, genauso wie die Selfmade-Man-Stories: Wenn Sie Donald Trump fragen, warum er an der Position ist, wo er ist, dann wird er Ihnen sagen: weil er einfach die Ärmel hochgekrempelt hat und das Ding geschaukelt hat und alles selber so konstruiert hat, wie er es nun mal konstruiert hat. Elon Musk wird davon ausgehen, dass sein eigenes Genie ihn dahin gebracht hat, wo er ist. Das hat mit den Diamantenminen in Südafrika und dem riesigen Erbe, was er genossen hat, natürlich nichts zu tun, dass er sich damit in die Firmen einkaufen konnte, die er gar nicht selbst gegründet hat. Aber das sind so klassische Narrative, die da gestrickt werden, um ganz bestimmte Botschaften zu transportieren.
Die politischen Narrative sind solche Sachen wie die “Yes, we can”-, also die “Wir können alles erreichen”-Erzählung von Barack Obama zum Beispiel, die im Hintergrund von den Rezipient:innen dann selbstständig aufgeladen werden können mit … Also, niemand hat gesagt, was wir können, aber wir können es! Und alle dürfen sich dann selber das aussuchen, was wir, was sie denn können und das Ding mit Bedeutung aufladen. Und das funktioniert ganz fantastisch. Genauso wie die Erzählung von Donald Trump “Make America great again”, aber auch die “SPD-Erbmonarchie”, die in der Lokalpolitik diskutiert wird, weil wir halt einfach seit – ich hab die Zahl vergessen – aber so 70 oder so Jahren, glaube ich, SPD-regiert sind hier in Bottrop, dass es sich scheinbar um eine Form von Monarchie handelt. Die “Früher war alles besser”-Erzählung usw. – Sie verstehen, worauf ich hinauswill: Es gibt so ganz bestimmte Trigger, womit ich die große Erzählung aufmache, die sehr bedeutungsvoll aufgeladen ist.
Die Funktionsweise basiert dann meistens Empathie, Zustimmung, Rahmung, Bedeutung, kultureller Identität und einem gewissen Erinnerungsraum. Also so was wie “Früher war alles besser” funktioniert natürlich nur, wenn Sie tatsächlich ein gewisses positives “Früher” erfahren haben oder zumindest so in Ihrer Erinnerung verklärt haben, dass Sie mit “Früher war alles besser” auch tatsächlich arbeiten können.
Heuristiken
Das war so grob die sprachliche Beeinflussung, der wir unterliegen, wenn Sprache auf unser lustiges kleines Gehirn trifft. Es gibt noch ein paar weitere Einflussfaktoren. Ich würde gerne einmal mit Heuristiken anfangen. Heuristiken sind quasi Ordnungsprinzipien, die kognitionspsychologisch in all unseren Köpfen ablaufen, um die unglaubliche Informationsflut, die wir über alle unsere Sinne jede Sekunde verarbeiten müssen, so ein bisschen zu ordnen und im Alltag klarzukommen. Die Repräsentativitätsheuristik fragt so ein bisschen "Haben wir schon eine Repräsentation von diesem Dings, was wir da gerade vor uns haben? Und können wir es einordnen, ja oder nein?" Es beantwortet also so ein bisschen … oder sie beantwortet also so ein bisschen die Frage “Was ist das eigentlich, was wir vor uns haben?”
Aus dem Originalexperiment von Tversky & Kahnemann, 1978, glaube ich, kommt dieser Text: “Steve ist sehr schüchtern, zurückhaltend, immer hilfsbereit, aber wenig an Menschen oder an der Wirklichkeit interessiert, ist ein sanftmütiger, ordentlicher Mensch mit einem Bedürfnis nach Ordnung und Struktur und einer Leidenschaft für Details.” Wenn man die Leute fragt: “Welchen Beruf hat Steve: Landwirt, Verkäufer, Bibliothekar oder Arzt?” – Darf ich einmal um Handzeichen bitten:
Ist Steve Landwirt? Niemand.
Ist Steve Verkäufer? Auch nicht.
Ist Steve Bibliothekar? Relativ viele.
Ist Steve Arzt? Nein.
Ok. Das, was da passiert, ist: Sie haben relativ schnell die Beschr… die Personenbeschreibung übersetzt in “Was könnte Steve für ein Typ sein? Und was repräsentiert er für mich? Habe ich ein Muster was passt?” Wenn ich Ihnen jetzt erzähle, dass wenn man Ihnen ein bisschen mehr Zeit und ein bisschen mehr Kontext gibt, Sie wahrscheinlich zu einer anderen Lösung gekommen wären, nämlich dass wir, nachdem Bottrop Kirchhellen okkupiert – ähm – nach dem Zusammenschluss … seitdem haben wir natürlich erstaunlich viele Landwirte. Das gilt nicht nur für Bottrop, das gilt tatsächlich für relativ viele Bereiche dieser Welt, die Anzahl von Landwirten sollte man nicht unterschätzen. Wir haben trotz Leerstände in der Innenstadt eine erstaunlich hohe Anzahl von Verkäuferinnen und Verkäufern. Wir haben an jeder Ecke ein Ärztehaus und 1003 Hausärzte, und wissen Sie, was wir sehr wenig haben? Büchereien. Wir haben eine Stadtbibliothek und ein paar Schulbibliotheken. Das heißt, wir haben eine Handvoll Bibliothekare und Bibliothekarinnen in dieser Stadt.
Das, was sie … das, was bei Ihnen im Kopf passiert, ist: Sie vernachlässigen die sogenannte Basisrate, nämlich: Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass Steve einen bestimmten Beruf hat? Und Sie interpretieren aufgrund der Personenbeschreibung, was er oder welche Repräsentation in Ihrem Kopf am ehesten dieser Beschreibung entspricht. Das ist genau das, was die Repräsentativitätsheuristik macht. Sie ist sehr hilfreich, sie hilft uns, relativ schnell Sachen, Erlebnisse, aber auch Personen oder Gegenstände einzuschätzen. Sie ist aber auch anfällig für Urteilsverzerrungen.
Ähnliches Beispiel: “Eine Stadt wird von zwei Krankenhäusern versorgt. In dem größeren Krankenhaus werden täglich 45 Babys geboren, in kleineren 15. Wie bekannt, sind etwa 50 % aller Babys männlich.” Übrigens: 1978, Originaltext. Natürlich sind die anderen 50 % weiblich, aber diese Formulierung hat tatsächlich einen erstaunlich maskulinen Tenor. “Der genaue Prozentsatz schwankt jedoch von Tag zu Tag, manchmal ist er höher als 50 %, manchmal niedriger. Ein Jahr lang sollten beide Krankenhäuser, das große und das kleine, die Tage aufzeichnen, in denen mehr als 60 % der Babys Jungen waren.” oder von mir aus auch Mädchen waren. “Welches Krankenhaus hat Ihrer Meinung nach mehr solcher Tage verzeichnet? Das größere, das kleinere oder beide gleich?” Die automatisierte Antwort lautet normalerweise – also in relativ vielen Versuchsgruppen lautet die automatisierte Antwort: “Hä? Beide gleich!” So, weil die Standardquote ist ja 50:50 der Geschlechter. Warum sollte es einen Unterschied geben?
Ich weiß nicht, ob es in diesem Studiengang einen Statistik- oder Methoden-Modul gibt und ich weiß nicht, ob das jemand schon gehört hat. Ja, ich sehe ein Nicken, Du hast das gehört? Ach, Du unterrichtest das? Da könnte man… Daher könnte man wissen: “Je kleiner eine Stichprobe, desto anfälliger ist sie für Ausreißer.” Das heißt, die richtige Antwort heißt natürlich, das kleinere Krankenhaus hat die … hat mehr Tage, wo das Geschlechterverhältnis der Neugeborenen nicht ausgeglichen sein wird. Nichtsdestotrotz hat man den Hang dazu, relativ schnell und teilweise automatisiert solche Beschreibungen einzuschätzen, nach Repräsentationen zu suchen und dabei zum Beispiel so Sachen wie Basisrate oder Stichprobengröße einfach zu vernachlässigen, das heißt, das, was da passiert, ist: Die Ordnungsschemata in unserem Gehirn sind schnell und automatisiert.
Herr Kahnemann hat vor 3, 4, 5, keine Ahnung, vor ein paar Jahren auf jeden Fall noch sein gesamtes Forscherleben populärwissenschaftlich aufgearbeitet. “Schnelles Denken, langsames Denken.” Und in diesem Titel steckt eigentlich schon alles drin. Es gibt zwei verschiedene Arten, wie Informationen verarbeitet werden können. Die eine ist automatisiert und superschnell und die ist total wichtig. Und meistens liegt sie auch erstaunlich richtig. Sie hat nur den Hang dazu, in manchen Fällen, so wie diesen, systematisch verzerrt zu sein. Und wir haben das langsame Denken, wenn wir sehr lange darüber nachdenken, uns noch mal die Zeit nehmen, die Sachen noch mal zu Ende denken, dann kommen wir meistens zu anderen Schlüssen als beim schnellen Denken.
Eine andere Variante ist die Verfügbarkeitsheuristik: Ereignisse, von denen man noch nie etwas gehört hat, werden als seltener eingestuft als solche, für die man eine ganze Reihe von Beispielen kennt, sie beantwortet also ein bisschen die Frage “Kenne ich das?” “Glücksspieler:innen neigen in Spielhallen dazu den Automaten weiter mit Geld zu füttern, wenn an den anderen Automaten ab und zu mal gewonnen wird.” Das liegt daran, dass sie verfügbar haben, dass man an diesen Automaten tatsächlich auch gewinnen kann. Das heißt, wenn ich Dinge erlebe – sie müssen mir nicht selber passieren, ich muss sie nur verfügbar haben – dann halte ich sie grundsätzlich auch für wahrscheinlicher. “Studien haben ergeben, dass die Menschen nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 verstärkt vom Flugzeug auf das vermeintlich sichere Auto umgestiegen sind. Damit erhöhte sich nicht nur das Staurisiko: In den zwölf Monaten nach 9/11 gab es schätzungsweise 1.600 mehr unfallbedingte Todesfälle auf US-amerikanischen Straßen, als es statistisch zu erwarten gewesen wäre.” Das ist der sogenannte zweite Terrorakt nach 9/11.
Das heißt, das, was da passiert ist: Durch die mediale Aufbereitung, durch die dauerhafte Verfügbarkeit von dem Terrorakt und von der scheinbaren Unsicherheit des Flugzeugfliegens wird ein Fehlschluss … daraufhin ein Fehlschluss begründet, der dann dazu führt, dass tatsächlich es zu so einer Art zweiter Welle von Terroropfern kommt. Verfügbarkeit hat immer viel zu tun mit Nachrichten-Selektion, mit personalisierten Internetinhalten, mit algorithmisch kuratierten Timelines, die irgendwie interpretieren, was mich wohl am meisten interessiert, aber auch mit Nachrichten-Seltenheit.
Also liebe Pressevertreterinnen und -vertreter: Wenn wir aus jeder Schlägerei am ZOB eine große Meldung machen mit einer clickbaitigen Überschrift und das Thema “Sicherheit” z.B. so wie im Wahlkampf, aber auch in der Nach-Wahlkampf-Berichterstattung immer wieder durchventilieren, dann glauben die Leute tatsächlich, aufgrund der Verfügbarkeit der Informationen glauben die Leute tatsächlich, wir hätten ein Sicherheitsproblem. Wenn sie … Also, ich will jetzt nicht bestreiten, dass wir eventuell ein Sicherheitsproblem haben, aber wenn Sie sich zum Beispiel die Polizeiliche Kriminalstatistik fürs Ruhrgebiet angucken, dann werden Sie feststellen, dass Bottrop einer der sichereren Orte ist und das natürlich durch Nachrichten-Seltenheit vs. Nachrichten-Hype einfach eine Verfügbarkeit in den Köpfen von Rezipient:innen erzeugt wird, die natürlich zu Dingen führen.
Dritte Heuristik: Ich weiß nicht, ob wir es versuchen sollen, daraus ein Experiment zu machen? Ich würde es glaube ich, lassen heute. Es geht um die Verankerungs- & Anpassungsheuristik. Da ist es so, dass der Startpunkt der Überlegung oft dazu führt, dass ein Anker in den Boden gerammt wird, von dem der weitere Nachdenkensprozess beeinflusst ist. Es gibt einen Versuch, wo man einer Gruppe die Aufgabe zeigt, also eine Rechenaufgabe zeigt für fünf Sekunden. Das sieht dann ungefähr so aus. Und Sie werden feststellen, Sie werden sie nicht bis zum Ende gerechnet haben. Nichtsdestotrotz wird man die Leute dann bitten, eine Schätzung abzugeben und die Kontrollgruppe kriegt die gleiche Aufgabe, die man aufgrund dieses mathematischen Gesetzes, das einen so schönen Namen hat, den ich nicht weiß, aber Vertauschungsgesetz heißt das auf deutsch, die Aufgabe ist natürlich … sollte vom Ergebnis natürlich gleich sein.
Da die Leute nicht bis zum Ende rechnen können, sondern irgendwie nach dem ersten, zweiten, dritten Rechenschritt abbrechen, rammen Sie quasi einen Anker in den Boden und fangen dann auf dieser Basis an zu extrapolieren. Und je nachdem welche Aufgabe ich bekomme – die mit den großen Zahlen zuerst oder die mit den niedrigen Zahlen zuerst – dadurch unterscheidet sich der Anker, den ich reinramme und dadurch unterscheidet sich auch die Schätzung, die dann passiert. Die Proband:innen aus der ersten Gruppe schätzen das Mittel auf ca. 2.200, weil sie 8 mal 7 = 56, mal 6, sind irgendwie 300, mal 5 sind … und dann fangen sie irgendwie schon an zu extrapolieren, kommen auf 2200, das ist nett, aber daneben. Die Gruppe 2, die mit den kleinen Zahlen anfängt, die kommt sogar im Mittel nur auf die Schätzung von 512. Beide sind also vom richtigen Ergebnis 40.000 und ein bisschen erstaunlich weit entfernt. Aber die Berechnung, die ersten zwei, drei Schritte führt halt genau dazu, dass ein Anker gesetzt wird und dann fehl-interpoliert wird.
Ich kann das sogar nicht nur mit Matheaufgaben machen, sondern ich kann sogar zwei eigentlich voneinander völlig getrennte Phänomene nehmen, nämlich ich lasse Menschen ein Glücksrad drehen, das so manipuliert ist, dass es entweder bei einer niedrigen oder bei einer hohen Zahl stehen bleibt und frage danach eine davon völlig abgekoppelte Frage, nämlich “Wie viele der afrikanischen Länder sind in den Vereinten Nationen vertreten?” Und dabei zeigt sich, dass die Proband:innen, bei denen das Glücksrad immer bei der Zahl 10 stehenblieb, durchschnittlich die Anzahl auf 25 % schätzen, während die, bei denen das Rad bei 65 stehengeblieben war, im Durchschnitt die Antwort auf 45 % schätzen. Das heißt, ich kann zwei völlig voneinander unabhängige Ereignisse nehmen, um bei dem einen Anker zu setzen, einen in diesem Fall numerischen Anker zu setzen, um bei dem anderen eine Beeinflussung vorzunehmen.
Alle diese Verarbeitungsarten und -techniken, die teilweise automatisiert ablaufen, die führen natürlich dazu, dass wir bei Formulierungen von Thesen entsprechend umsichtig vorgehen müssen, damit wir nicht schon bestimmte Frames aufziehen oder aber bestimmte Anker setzen oder bestimmte Verarbeitungen provozieren, die dann in eine bestimmte Richtung führen, wo wir sie eben aus Neutralitätsgründen eigentlich nicht haben wollen.
Positiv- vs. Negativ-Formulierungen
Das klassische Beispiel von dem Glas – ob es nun halb voll oder halb leer ist, ist die große Streitfrage des Lebens. Ich habe das mal ein bisschen übersetzt in Aussagesätze, zum Beispiel “Ein Flugzeug mit 128 Menschen an Bord stürzt ab, 75 Menschen sterben” ist eine ziemlich dramatische Nachricht, finde ich. Fühlt sich nicht so gut an! “Ein Flugzeug mit 128 Menschen an Bord stürzt ab. 53 Menschen überleben.” Da denkt man sich: Boah, 53? Das ist ja ganz schön viel. Haben die ein Schwein. Worauf ich hinaus will: Rechnerisch, wenn ich mich nicht vertan habe, sind 75 Gestorbene und 53 Überlebende 128. Das heißt beide Kästen haben exakt den gleichen informatorischen Inhalt. Die einen kriegen sie allerdings als negative Nachricht verkauft, die anderen als positive. Das heißt, durch Positiv-Negativ-Formulierungen kann ich scheinbar die Wahrnehmung von Aussagen beeinflussen. Ob das wirklich das Gleiche ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber über solche Sachen müssen wir bei Wahl-O-Mat-Thesen natürlich nachdenken.
Ist die Steuerlast tatsächlich eine “Last”? Oder ist sie eigentlich ein Beitrag zum Gemeinwohl? Also ist das, was ich da abführe, nicht irgendwie mein Beitrag für schulische Bildung und Infrastruktur, zum Beispiel? Sind einkommensschwache Haushalte nicht eventuell nur das Ergebnis entlohnungsschwacher Unternehmen? Ich weiß, sie ist ein bisschen provokant, die Frage, aber worauf ich hinaus will ist: Jeden Sachverhalt kann ich natürlich mit einer umgedrehten Formulierung trotzdem treffen. Und dann ist so ein bisschen die Frage, in welche Richtung wollen wir eigentlich formulieren und was generieren wir dadurch eigentlich für Reaktionen?
Original Wahl-O-Mat-These aus dem Bundestags-Wahl-O-Maten 2025, ich glaube, rechts ist das Original, links ist eine Manipulation meinerseits. “Deutschland soll die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen.” Ich habe daraus gemacht: “Deutschland soll die Ukraine nicht mehr militärisch unterstützen.”, um einmal ein Beispiel zu haben, wo man einmal was Positives und was Negatives hat. Jetzt stellt sich mir erstens die Frage: Wenn ich “Deutschland soll die Ukraine nicht mehr militärisch unterstützen” mit “stimme nicht zu” beantworte, dann muss ich erst mal diese doppelte Verneinung verarbeiten und mir überlegen: Ist das tatsächlich das, was ich gerne antworten möchte? Oder ob ich der positiv formulierten These mit “stimme zu” … wenn ich die positiv formulierte These mit “stimme zu” beantworte – ist das eigentlich das gleiche? Es fühlt sich ein bisschen so an, wenn ich sage: “Ich möchte, dass die Unterstützung weiterhin aufrechterhalten wird: Ich stimme zu” scheint das Gleiche zu sein wie “Ich stimme nicht zu, dass wir nicht mehr unterstützen.”
Wenn man sich das mal genauer anguckt, dann ist das tatsächlich nicht so ganz klar. Ich habe wieder das Original rausgekramt. “Deutschland soll die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen.” Sagen wir mal, ich stimme nicht zu. Erstens: Es findet eine Eingrenzung auf “militärisch” statt, also Deutschland soll die Ukraine weiterhin ‘militärisch’ unterstützen. Dem stimme ich nicht zu. Ob ich das deswegen tatsächlich auf der Seite von Russland stehe, ist damit überhaupt nicht beantwortet: Denn es könnte sein, dass ich irgendwie diplomatische Beziehungen, wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine, Steigerung der Sanktionen gegenüber Russland trotzdem total befürworte. Ich bin halt nur irgendwie durch das ‘militärisch’ abgeneigt. Könnte ja sein.
Wenn ich dieser Aussage zustimme, dann ist in diesem “weiterhin” eine ganz interessante Subbotschaft versteckt, meiner Meinung nach. Denn “weiterhin” klingt da ein bisschen so wie “Läuft ja schon. Machen wir ja. Ist der IST-Zustand. Das soll ja nur so auf dem Niveau wie es gerade ist, weiterlaufen.” Ob es eventuell erhöht, erweitert, verändert werden soll zum Beispiel, wird überhaupt nicht abgefragt. Das heißt, ob die Ausweitung der militärischen Lieferungen an die Ukraine mit einem “stimme zu” abgedeckt ist, ist völlig unklar.
Und grundsätzlich ist “unterstützen” eins dieser daeben angesprochenen Hochwert- und positiv aufgeladenen Wörter, das heißt, es suggeriert, dass es sich grundsätzlich um eine gute Sache handelt. Und es gibt einen gewissen inneren Widerstand von Menschen dagegen, grundsätzlich positiv aufgeladene Dinge abzulehnen. Das heißt, es gibt eine Funktionalität der sozialen Erwünschtheit, die dazu führt, dass ich Unterstützung weniger gerne ablehne, weil es in mir das Gefühl erzeugt, als würde ich etwas Positives verhindern.
Zusammenfassung, Verabschiedung
All diese Dinge versuche ich jetzt einmal kurz zusammenzufassen – ich gucke mal auf die Uhr, wir liegen gut in der Zeit – versuche ich mal kurz zusammenzufassen. Ich hätte Ihnen auch einfach statt dieser 70 Minuten einfach nur die letzte Folie zeigen können, aber dann hätte ich nicht so viel Spaß gehabt hier. Also: Sprache aktiviert bildhafte Repräsentationen, Assoziationen, Kategorien & Erinnerungen. Sprache hat neben der Symbol- auch die Symptom- und die Appellfunktion. Durch spezifisch aufgeladene Begriffe kann ich Frames, also Bedeutungsrahmen aufziehen, in denen spezielle semantische Interpretationen provoziert werden. Besondere Form von Frames sind Kampfbegriffe und Dog Whistles. Urteilsheuristiken können zu Fehlschlüssen bei der textlichen Interpretation führen. Die Positiv-Negativ-Formulierungen können Rezipient:innen beeinflussen. Ich kann durch doppelte Verneinungen also dem Ablehnen negativ formulierter Thesen tatsächlich den cognitive load erhöhen, dass die Verarbeitung tatsächlich deutlich langsamer ist als bei dem Zustimmen zu positiven Thesen. Und ich kann durch die Thesenformulierung und die eingeschränkten Antwortoptionen – denn wir reden halt auch über eine Ein-Satz-Aussage, auf den Punkt, entweder zustimmen oder ablehnen oder nix sagen – dadurch kann ich natürlich besonders komplexe Sachverhalte so sehr verkürzen, dass es beinahe sinnentfremden wird.
Das ist so ungefähr das, was ich mir so überlegt habe, als wir angefangen haben, den Wahl-O-Maten zu entwickeln. Ich blättere mal kurz durch die Literatur. Die entnehmen Sie vielleicht lieber dem Handout, als dass Sie versuchen, sie sich zu merken, wenn ich da durchblättere. So, ich bin durch.
Ich sage vielen Dank für die Aufmerksamkeit und stehe natürlich für Fragen zur Verfügung.
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Weiterführende Links & Literatur
- Ankereffekt (o.D.). In: Wikipedia.
- Archetypen (o.D.). In G. Wenninger (Hrsg.), Lexikon der Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
- Assoziation (o.D.). In G. Wenninger (Hrsg.), Lexikon der Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
- Biermann, K. & Haase, M. (2018). Das Wörterbuch der Verschleierung. In: Zeit Online.
- Biermann, K. & Haase, M. (o.D.). Blog neusprech.org (09.06.2025).
- Breitenstein, C. (2012). Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht: Von der Assoziation zur Kognition. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 4/2012. S. 405-418.
- Bühler, K. (1934). Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: G. Fischer (3. Auflage: Stuttgart: Fischer, 1999).
- Deutsch, R., Gawronski, B., & Strack, F. (2006). At the boundaries of automaticity: Negation as reflective operation. In: Journal of Personality and Social Psychology, 91, pp. 385-405.
- Geisel, S. (2022). Die Wirklichkeit erfinden: Fluch und Segen des Narrativs. Podcast „Zeitfragen“, Deutschlandfunk Kultur.
- Hundepfeifen-Politik (o.D.). In: Wikipedia.
- Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. New York: Farrar, Straus and Giroux.
- Klein, J. (2021). Frame und Framing: Frametheoretische Konsequenzen aus der Praxis und Analyse strategischen politischen Framings. In: Ziem, A., Inderelst, L.& Wulf, D. (Hrsg.). Frames interdisziplinär: Modelle, Anwendungsfelder, Methoden, S. 289-330. DOI: 10.1515/9783110720372-010.
- Nier, T. (2024). Die Sprache am rechten Rand. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Dossier Rechtspopulismus.
- Organon-Modell (o.D.). In: Wikipedia.
- Peil, D. (2004). Metapher. In: Nünning, A. (Hrsg.), Grundbegriffe der Literaturtheorie. Stuttgart/Weimar: Metzler. Beispiele zit. nach. Metapher. (2025). In: Wikipedia.
- Prototypentheorie (o.D.). In G. Wenninger (Hrsg.), Lexikon der Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
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